Einhandmesser und die imperative Macht des Faktischen

Der gute M dachte jüngst, er hätte den heiligen Gral des EDC gefunden: Ein nicht verbotenes Einhandmesser. Also ein Werkzeug, das der normal-denkende Mensch praktisch benutzen könnte. Ich hab‘ in Wesenstest für Kampfmesser die Einhandmesser kurz abgetan. Aber rein politisch betrachtet lohnt es sich, noch mal drauf zu gucken.

Anmerkung: Die folgende Polemik ist extrem. Ich hab‘ 2008 schon gegen die zugehörige Waffengesetz-Änderung gekämpft, ich hab‘ meine absoluten Lieblingsmesser1 einmotten müssen, und ich hab‘ außerdem gelernt, wie wahr es ist, dass man bei Fleischwurst und Politik nicht wissen will, wie sie gemacht wird. Ich kann nicht anders, trotzdem isses nicht mein bestes Werk.

„Imperative Macht des Faktischen“ sagt ein Freund und Anwalt gerne für Dinge, die unabänderlich einfach so sind. Auch bekannt unter der Bundeswehrbegründung mit vier Buchstaben: ISSO.

„Einhandmesser kriegt Ihr nicht.“
„Warum?“
„Isso.“

Um es einfach mal klar zu machen: Einhandmesser gibt’s nicht für Euch. Das ist nicht gewollt. Eigentlich wollte man die vermutlich verbieten, das hatte ja schon vor dem Erfolg des Internets mit Butterflies geklappt.

Leider wäre ein vollständiges Verbot eine Enteignung gewesen, das hätte eine Pflicht zur Entschädigung mit sich gebracht. Das missfiel der an dieser Stelle mal überraschend sparsamen Politikerkaste, ergo gab es ein viel günstigeres de-facto Verbot unter anderem Namen.

Das zeigt übrigens, wie wenig unsere Politiker ihr Wahlvieh kennen: Die guten Deutschen hätten sich nämlich bei einem echten Verbot sofort ordentlich in Reihe gestellt, um ihre legal teuer erworbenen Einhandmesser abzuliefern. Und dann hätten sie, in bester deutscher Neid-Tradition, alle die verpetzt, die da nicht mitgemacht hätten2.

Aber egal, da Politiker nun mal zur Gattung der Wirbellosen gehören, wollten die das nicht riskieren. Ergo gibt es nur ein Führverbot, was übersetzt heißt: Ihr könnt es zwar bezahlen, ihr dürft es anschauen und sammeln, aber benutzen dürft ihr es nicht.

Ja, es gibt Ausnahmen, das sogenannte berechtigte Interesse. Das zum Glück so gummiartig formuliert ist, dass jeder jederzeit doch belangt werden kann. Was nämlich berechtiges Interesse ist, hängt vom Wetter, der Form der eigenen Nase und der Tagesstimmung ab. Das BKA selbst erklärt zum Beispiel: „Bei einem berechtigten Interesse greift das Verbot nicht. Das Waffengesetz nennt hierfür beispielhaft: Berufsausübung, Brauchtumspflege, Sport oder einen allgemein anerkannten Zweck. Die Aufzählung ist nicht abschließend, so dass jeder sozialadäquate Gebrauch von Messern weiter möglich ist. Kein berechtigtes Interesse ist es nach der Gesetzesintention dagegen, ein Messer zu Verteidigungszwecken mit sich zu führen.

Wie eine Institution der Exekutive dazu kommt, legislativ tätig zu werden: Geschenkt. Und warum Selbstverteidigung kein anerkannter Zweck ist: Viel Spaß beim Raten. Wir haben einen Notwehr-Paragrafen, den die meisten meiner Leser auswendig kennen dürften. Wir halten neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit sogar die persönliche Ehre für schützenswert, auch wenn wir das gemeinhin nur bei befreundeten Diktatoren aus dem  Ausland rechtlich verteidigen. Selbstverteidigung für den Pöbel fällt da irgendwie  nicht drunter. Auch geschenkt!

Perfider ist der sozialadäquate Zweck. Übersetzt auch „du darfst, wenn uns das gefällt“.

Wirklich krass ist aber, überhaupt von einem klaren Zweck auszugehen: Messer gehören zu den universellsten Werkzeugen, die wir kennen. Deswegen bauen wir die in der einen oder anderen Form seit über einer Millionen Jahren. Zusammen mit dem Schlagwerkzeug (Hammer, Stein) und dem Hebel (vulgo: Stock) sind die die zivilisatorische Basis. Anders gesagt, wer sich nicht vorstellen kann, wofür man im Alltag ein Messer gebrauchen könnte, der möge bitte die Leiter der Evolution wieder hinabsteigen, hier oben ist nämlich kein Platz für mickrig behaarte Schimpansen mit besserer Frisur.

Messer fallen eben nicht in die Kategorie „Ja, Massa, ich hab eine tagesaktuelle Erlaubnis, dieses Messer zu führen, weil ich heute Mittag diesen Apfel schneiden werde“. Sondern in die Kategorie „hey, da stand ich auf der Leiter, hab versucht, das Lampenkabel ein wenig weiter zu schieben, das war mit einem Kabelbinder festgemacht, und statt abzusteigen und einen Seitenschneider zu holen, hab ich den schnell durchgeschnitten, weil ich immer ein Messer dabei hab“. Übrigens: Dafür brauchte ich ein Einhandmesser, denn auf der Leiter stehend hab ich nur eine Hand frei. Mein Beruf: Informatiker. Hausmeister als Nebenerwerb hab ich mir noch nicht schriftlich geben lassen, damit ich auf Berufsausübung pochen kann. Kurzum: Einen klar definierten Zweck zu erwarten, ist absurd.

Nun kann man das alles für Paranoia halten. Und das, obwohl ich mir die Geschichte der Entstehung des Einhandmesser-Verbots gespart habe 3. Aber wer Augen hat, der sehe.

Zum Beispiel bei der Gesetzgebung selbst: „Messer mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser)“ steht da in §42a WaffG. Sind das jetzt zwei separate Dinge oder ist letzteres nur der Begriff für ersteres? Eine Formulierung, die so unsauber ist, dass Böker, die seit Jahrhunderten Messer in Deutschland herstellen und die immer mit dem Behörden zusammen arbeiten4, sich genötigt fühlen, ihre eigene Interpretation davon auf ihrer Webseite veröffentlichen: „Einhändig feststellbare Messer sind nach unserem Verständnis Messer, die eine Vorrichtung zum einhändigen Öffnen und eine Klingenarretierung aufweisen. Sollte ein Messer nur eines dieser Merkmale aufweisen, ist es vom § 42a nicht betroffen.„.

Ein Freudenfest für das BKA , das nun eben wild definieren darf, was es denn sein könnte, was da gemeint ist. Die haben nämlich die einhändige Öffenbarkeit dazu entdeckt, die im Originaltext gar nicht steht. Oder eben vielleicht doch. Motte and Bailey nennt sich diese Technik in der Rhetorik, übertragen auf Recht ist das, einen kleinen Bereich rechtlich zu definieren und dann in der Interpretation möglichst viel im Umkreis mit zu erfassen.

Das treibt dann spannende Blüten: Man nehme zum Beispiel den Feststellungsbescheid zum  Böker Plus Griploc. Da baut jemand ein Taschenmesser, bei dem sichergestellt wird, dass einem die Klinge nicht auf die Finger klappt, das aber keine Klingenarretierung hat. Ein typisches EDC-Messer, für Selbstverteidigung wenig geeignet. Und natürlich ist die Antwort trotzdem „danke nein, fuck you very much“. Letztere Antwort wäre übrigens einfach ehrlicher.

Also noch mal: Hört auf zu Träumen. Es gibt keine nützlichen, sicher zu bedienenden Einhandmesser für Euch. Was mich daran erinnert, dass ich mal eine Gegenrede zu Peters Artikel über das PITS schreiben muss.

Einen schönen Restsonntag noch und schnell Schalldämpfer beantragen, falls Ihr in NRW lebt!