Die Pyramide: Ausrüstung, Fertigkeiten und Mentalität

Auf vielfachen Wunsch eines Einzelnen, der es mag, wenn ich mal vor mich hin überlege: Was hat es auf sich mit der Pyramide und warum benutze ich den Begriff so ungern?

Die Pyramide besteht im Englischen aus Mindset, Skill und Gear. Wenn man sich die Haupt-Kategorien meiner Seite anschaut, hab ich versucht, das mit Mentalität1, Fertigkeiten2 und Ausrüstung zu übersetzen.

Die typische Pyramide zeigt Mentalität als Basis, Fertigkeiten oben drauf und an der Spitze, ganz klein, Ausrüstung.

Interpretiert wird das ganz oft als käme man mit Mentalität allein schon ganz gut klar. Für den erfolgreichen Schusswaffeneinsatz braucht man alles drei. Deswegen bin ich gar kein Fan der Pyramiden-Idee, wo ein Teil (meist Mentalität) wichtiger ist als der andere, weil er das Fundament bilden soll. Denn man kann noch so klever sein, ohne Waffe schießt’s sich echt schwer.

Ausrüstung – überschätzt und unterschätzt

Ausrüstung zu mögen und zu diskutieren ist intuitiv, es gibt immer wieder neues Zeug und wir kaufen es gerne. Ausrüstung wird von coolen Bloggern meist abgetan als sekundär (oder, korrekt in diesem Kontext hier, tertiär). Der Meinung bin ich nicht: Wir können alle lang diskutieren, wie klug es ist, zu einer Schießerei ein Messer mitzubringen oder eine Pistole zu einer Messerstecherei3, aber wir werden uns auf jeden Fall einig sein, dass Ausrüstung manche Dinge erst möglich macht (Tobias Regel #1: Wer schießen will, sollte eine Schusswaffe haben).

Klar, man sollte das Thema reflektiert sehen und nicht jede minimale Verbesserung jagen, aber wer heute gänzlich auf einen Rotpunkt auf seiner Langwaffe verzichtet, ist vermutlich genau so doof wie der, der den Aimpoint T1 wegwirft, um einen Aimpoint T2 zu installieren.

Ausrüstung muss man allerdings erst bedienen lernen. Vielleicht haben die Blogger, die Ausrüstung für langweilig halten, noch nicht verstanden, warum die meisten Ausrüstungsblogs so lahm sind: Weil sie über Dinge berichten, ohne den Sinn verstanden zu haben. Extrem ist mir das vor ein paar Monaten aufgefallen bei einem Artikel über das Axelson A2 Blast Shield auf dem Firearmblog4. Weil der Hersteller aus rechtlichen Gründen den hauptsächlichen Mehrwert nicht erklärt hat, überschlugen sich die Kommentare und der Text des Artikels darin, zu erklären wie langweilig der x-te Blast Shield ist. Dort ist niemandem aufgefallen, dass das in Wirklichkeit eine bequeme Möglichkeit ist, einen selbstgebauten Schalldämpfer (einfach, und, äh, nicht immer legal) mit einer QD-Möglichkeit (schwer, aber total legal) zu versehen.

Weniger krass: Manchmal braucht es eben doch nur eine minimale Änderung, um völlig neuen Nutzen in ein etabliertes Produkt zu bringen. Das verlangt Erfahrung beim Berichtenden. Manchmal ist ein neues Produkt einfach wegweisend. Das verlangt langes Experimentieren durch den Rezensenten. Manchmal wird ein Gegenstand erst in Kombination mit einem anderen wirklich gut. Das verlangt umfangreiches Wissen. Unboxing-Videos und „first looks“ braucht trotzdem niemand.

Fertigkeiten – Brot und Butter für den Blogger

Fertigkeiten hingegen gelten als das A und O des hippen Bloggers – und ich freue mich jedes Mal, wenn ich mehr Artikel dazu habe als über Ausrüstung. Klappt aber nach aktueller Messung nicht 😉

Fertigkeits-Artikel sind praktisch, weil einfach zu schreiben und absolut ideal zum predigen: Hey, niemand hat genug Zeit, wirklich ernsthaft zu trainieren. In Deutschland bezahlt uns ja keiner dafür, also müssen wir alle was anderes arbeiten; wir haben kaum Stände, die uns das machen lassen, was wir wollen; und genügend Vereinskameraden mit traditionelleren Sichtweisen, die uns im Weg stehen, selbst wenn die Möglichkeit anderweitig besteht. Also kann man so das immer vorhandene schlechte Gewissen seiner Leser wunderbar reiten.

Das ist einfach, aber, wie ich finde, trivial. Noch ein Drill und noch einen und dann ist das Wochen-Pensum auch erreicht. Und es bleibt attraktiv, denn Ausrüstung ist einmal gekauft und schnell zu bedienen erlernt, während Fertigkeiten rapide abnehmen.

Es gibt wenige wirkliche gute Anregungen, aber wenn es passiert schon mal: Jüngst wurde ich zum Beispiel überrascht, weil endlich ein paar namhafte Autoren es endlich gewagt haben, mal zu fragen, ob man eigentlich das Nachladen trainieren sollte? Sowohl der gute alte El-Presidente als auch sein viel coolerer Nachfolger, der FAST, haben einen Reload drin. Aber es bleibt zu diskutieren, wie notwendig er im Bereich Selbstverteidigung ist. Himmel, wenn ich nur einen einzigen Ablauf übe, weil ich mal wieder dank langer Auszeit bei Null anfange, dann ist es das Ziehen aus dem Holster oder vom Trageriemen bis zum ersten Schuss.

Gute Artikel zum Thema Fertigkeiten beschäftigen sich mindestens genau so sehr mit dem „wozu?“ wie mit dem „wie?“.

Mentalität – arg mystifiziert

Mentale Fähigkeiten kann man üben, aber wie und warum ist seltsam. Entweder man unterschlägt die Erklärung ganz und appelliert an eine höhere Autorität („train like a Navy Seal“) oder man kratzt den Bodensatz aus Küchenpsychologie und New-Age-Yoga zusammen. Der Höhepunkt ist die Kombination aus alledem, mir hat letztens jemand den 4-Sekunden-Atmungszyklus (4 ein, 4 halten, 4 aus, 4 halten) aus dem Pranayama noch als Navy-Seal-approved Box-Breathing verkaufen wollen.

Dabei ist es gar nicht so kompliziert: Es gibt solide Übungen wie Kim’s Game, die wirklich gut für einen speziellen Einsatzzweck funktionieren. Und „visualisieren“ ist tatsächlich so einfach und nützlich, wie man denkt: Man schaut sich John Correias Act of Self Protection Videos an und überlegt, was man selbst getan hätte.

Das Geheimnis hinter dem Mentalitätsaspekt ist, wie langsam Fortschritte passieren, wie schwer sie zu überprüfen sind und wie lange sie halten. Wie Kaliber-Diskussionen zeigen, hält sich Unsinn sehr lange.

Oder nehmen wir die quintessentielle Frage jeder Selbstverteidigung: Unter welchen Bedingungen bin ich bereit, in Kauf zu nehmen, das jemand durch meine Handlung stirbt. Die zu beantworten ist für jeden zivilisierten Westler schwer und ein jahrzehntelanger Prozess, der immer wieder durch neue Erkenntnisse revidiert wird. Ich meine, wieviele Leute, auch Polizisten (aber hauptsächlich deren Kritiker), halten einen Schuss in Bein oder Hand für technisch machbar, effektiv und ungefährlich und basieren darauf ihre Entscheidungsmatrix? Oder wieviele Menschen waren während des Trayvon-Martin-Prozesses der Meinung, dass jemanden im dem Kopf auf den Bordstein zu schlagen kein tödlicher Angriff wäre, der eine tödliche Antwort rechtfertigt?

Mentalität ist ein Thema, das man viel diskutieren kann, bei dem sich aber nur langsam etwas bewegt.

Fazit:

Alle drei Teile der Pyramide sind wichtig, daher ist die Darstellung als Pyramide im Kontext der Relevanz meiner Meinung nach Unsinn.
Wenn man die Abfolge als Aufwandspyramide betrachtet, dann trifft es gut: Mentalität zu erwerben ist schwerer als Fertigkeiten zu erwerben, und Ausrüstung ist leichter zu erwerben als die beiden.
Als Pyramide der Vergänglichkeit wiederum passt es gar nicht: Mentalität verliert man nur schwer wieder, die Fähigkeit, Ausrüstung zu benutzen auch nicht, Fertigkeiten sind die vergänglichsten.