Lauflängen-Überlegungen

Ein Freund steigt intensiver in’s Jagen ein und überlegte, wie es Usus ist bei Freunden in diesem kleinen Kreis, was denn eine gute Idee für eine führige Jagdbüchse wäre. Wir sind alle irgendwie Freunde von Tikka und wenn wir nicht länger abwägen wollen, nehmen wir .308 Win als Kaliber, damit kennen wir uns aus. Ich selbst bin zwar willens zu experimentieren, aber man empfiehlt Freunden ja besser Dinge, die sicher funktionieren. Bleibt die Frage nach einer jagdlich sinnvollen Lauflänge.

Auswahlkriterien

Was unterscheidet die Jagdbüchse vom Präzisionsgewehr? Letzteres ist das beste Werkzeug für einen sehr speziellen Zweck. Erstere hingegen ist ein gut-genuges Werkzeug für einen Haufen unterschiedlicher Anforderungen: Gut genug, um zuverlässig das vorkommende Wild zu töten; leicht genug, um auf Pirschen oder im Gebirge weit getragen zu werden; handlich genug, um auch stehend geschossen zu werden; leicht genug, um in der Kanzel nicht an irgendwelche Ecken zu hauen.

Wirtschaftlich gesprochen: Hier baut man nicht nach Maximax-Prinzip für einen präzisen Treffer auf eine große Entfernung, hier baut man nach Minimax-Prinzip, um einem Haufen unterschiedlicher Forderungen zu entsprechen.

Die meisten Faktoren sind einfach: Leicht und kurz. Aber tödlich? Da gibt es die buntesten Meinungen zu. Wäre dies jetzt irgendein Jäger-Forum, müsste man nun irgendwelchen Foren-Platzhirschen zuhören, die irgendwas faseln von „ach, unter 9.3×62 kannt Du nicht garantieren, dass das Schmallreh auch sofort stirbt und wer weniger verwendet hat keinen Respekt vor der Kreatuuuuhuuur!“ bis „anderswo schießen die riesige Sauen mit 22lfb. Ich könnte das bestimmt auch, wenn ich dürfte, aber Du?“.

Für mich ist es aber sehr einfach: Erfüllt die Patrone die jagd-rechtliche Anforderung einer Energie von mehr als 2000 Joule auf 100m und tut das Geschoss im Ziel noch das, was es soll?

Ersteres ist eine Frage der externen Ballistik, letzteres ist bei Zerlege- oder Deformationsgeschossen einfach zu klären: Man fragt einfach den Hersteller, was die Mindestgeschwindigkeit ist, die das Geschoss braucht.

Praktisches Beispiel zur Deformationsgeschwindigkeit

Um zu verstehen, was passiert, wenn man letzteres nicht bedenkt, erinnern wir uns an Black Hawk Down oder besser, die Operation Gothic Serpent: Da wollten die „Skinnies“ einfach nicht umfallen, wenn sie getroffen wurden. Da gab’s die urbane Legende, dass die einfach zu unterernährt waren und das Geschoss den Körper schon verlassen hatte, bevor es seine Wirkung zeigen konnte. Alles Quatsch. Richtig ist: Wenn die verwendete Munition nur bei hohen Geschwindigkeiten taumelt 1 und die hohen Geschwindigkeiten aus kurzen Läufen nur auf extrem kurze Distanzen erreicht werden, dann muss man sich nicht wundern, wenn angeschossene Gegner auf größere Distanzen nicht auf Treffer reagieren. Egal wie gut genährt die sind. Genau das war das Problem, was Taskforce Ranger dort schmerzlich bemerken musste.

Ein zu erwartender Effekt, wenn man eine Patrone verschießt, deren Brennschluss auf die 20″ Lauflänge vom M16 ausgelegt ist, man selbst aber nur mit kurzen XM733 oder XM933 mit 11.5″ Lauf unterwegs ist .

Das ist doof. Das sind wir nicht. Diverse SpecOps-Truppen übrigens auch nicht, die haben darauf hin zwischen Haager Landkriegsordnung und Effizienz abgewogen und sich für Geschosse entschieden, die auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten (und daher kürzeren Läufen) noch Wirkung zeigen. Ein mehr oder weniger offenes Geheimnis.

Ein konkretes Beispiel

Aber Schluss mit Mogadischu, machen wir das konkret für den Fall eines typischen Jagdgewehrs in .308 Win

Nehmen wir meine Go-to-Patrone und deren Geschoss: Die Munition ist die Barnes Vor-TX .308 Win 168gr. Da drin steckt das Barnes TTSX Geschoss. Das ist ein Kupfer-Deformationsgeschoss mit Plastikspitze. Das ist meiner Meinung nach eine gute Wahl, weil man damit sowohl jagdrechtliche Anforderungen erfüllt (kein Blei), man als Wiederlader das Geschoss auch einzeln bekommt, und weil Barnes das schon ewig macht und das auch gut und erfolgreich.

Mindest-Geschwindigkeit zur ausreichenden Deformation

Wenn wir mal im Internet rumgucken, hören wir ganz oft, dass das Geschoss mindestens 1800fps (feet per second) braucht, um zu deformieren. Manchmal hören wir 1800 bis 2000. Das klingt in etwa richtig, aber Foren sind nun mal Foren, da wird altes Wissen gerne als neues verkauft, und wir Kenner wissen, dass es vor dem TTSX noch das TSX gab – das hatte keine Spitze (Tip, da kommt das zweite T in TTSX her).

Also fragen wir einfach den Hersteller: Das Barnes 168gr TTSX im Kaliber .30 expandiert laut Hersteller schon bei mindestens 1500fps. Spoiler: Das ist unglaublich wenig!

Das ist übrigens ein Grund, warum es diesen Artikel gibt: Als ich das für den besagten Freund vorgerechnet habe, bin ich noch von 2000fps Mindestgeschwindigkeit ausgegangen und das würde längere Läufe bedingen, die Einschätzung will ich hiermit korrigieren.

Geschwindigkeitsverluste auf Entfernung

Nun sollten wir nicht vergessen: Das sind 1500fps im Ziel. Nicht an der Mündung. Zum Glück verlieren Geschosse, sobald sie einmal abgeschossen sind, im Flug immer gleich viel Geschwindigkeit, unabhängig von der Startgeschwindigkeit – zumindest so lange sie stabilisiert sind und im Überschallbereich bleiben. Stabilisieren ist eine Funktion des Dralls, das macht kaum ein Hersteller mehr falsch und fast alle nutzen einen 1/10″ Drall, und mit 1500fps sind wir im Überschallbereich. Also tun wir einen Blick auf Barnes eigene Daten und da lernen wir:

Verlust auf:

  • 100 yards: 189fps
  • 200 yards: 370fps
  • 300 yards: 544fps
  • 400 yards: 711fps
  • 500 yards: 869fps

Mindest-Mündungsgeschwindigkeit zur Deformation auf bestimmten Entfernungen

Umgekehrt gerechnet: Wenn ich meine Expansion auf bestimmte Entfernungen noch erreichen will, muss ich folgende Mündungsgeschwindigkeiten erreichen:

  • 500 yards: 2369fps
  • 400 yards: 2211fps
  • 300 yards: 2044fps
  • 200 yards: 1870fps
  • 100 yards: 1690fps

An dieser Stelle hatte ich in meinem ersten Entwurf die Frage gestellt: Auf welche Entfernung will ich jagen? Das ist immer schmerzhaft, weil man sich selbst was eingestehen muss, nämlich, wie gut man schießen kann. Oder cool, denn wenn man eh‘ nicht weit schießen kann, dann kann man auch eine weniger leistungsfähige Waffe benutzen. Aber in diesem Fall, wo die Expansionsgeschwindkeit so wahnsinnig niedrig ist, schauen wir einfach mal weiter ohne diese Überlegung.

Lauflängen und Mündungsgeschwindigkeiten

Dazu nehmen wir folgende Lauflängen-Experimente zur Hand: https://rifleshooter.com/2014/12/308-winchester-7-62x51mm-nato-barrel-length-versus-velocity-28-to-16-5/ und https://rifleshooter.com/2016/02/308-winchester-7-62x51mm-nato-short-barrel-length-and-velocity-a-six-inch-308-bolt-gun/. Das sagt uns, welche Geschwindigkeiten in einem Test erreicht wurden, wo ein .308 Win-Lauf in 1-Zoll-Schritten abgeschnitten wurde. Wir schauen auf die Werte für die Patrone mit 168gr Geschoss, weil die am nächsten an unserer dran ist – wenn auch die dort verwendete Federal Gold Match 168gr BTHP einen besseren BC von .462 hat statt der .442, die Barnes angibt. Klar, Match-Munition ist auf was anderes optimiert als Jagdmunition.

Die Läuflängen, die unsere Mindest-Mündungsgeschwindigkeit für bestimmte Entfernungen erreichen, sind:

  • 2369fps / 500 yards Einsatzreichweite: 14″
  • 2211fps / 400 yards Einsatzreichweite: 12″
  • 2044fps / 300 yards Einsatzreichweite: 9″

Okay. Das wird albern, oder? Falls die Werbung stimmt, hat Barnes da ein Wundergeschoss erschaffen und alle Leute, die von „kurzen“ Läufen sprechen und damit 18″ oder 20″ meinen, haben einen weißen Bart, der noch länger ist als meiner.

Gesetzliche Beschränkungen

Oh, habe ich die in Deutschland vorgeschriebene E100 von 2000 Joule vergessen? Das bedeutet bei unserem 168gr-Geschoss eine Geschwindigkeit von 2081fps auf 100m erreichen müssen. 189fps verliert das Geschoss auf 100yards, das extrapolieren wir auf 207fps auf 100m. Das bedeutet, wir brauchen so oder so eine Mündungsgeschwindigkeit von mindestens 2288fps, egal, ob das Geschoss bei weniger Entfernung auch noch expandieren würde.

Okay, ein Blick zurück zu den Lauflängen sagt uns: 14″ müssen wir schon machen, um mit der erwähnten 168gr Patrone gesetzeskonform zu bleiben.

Fazit und Einschränkungen

Aber: Das waren ein Haufen Abschätzungen:

  • Ich habe mich auf Herstellerangaben bei der Mindest-Expansions-Geschwindigkeit verlassen.
  • Ich habe mich auf Herstellerangaben beim Geschwindigkeitsverlust auf verschiedene Entfernungen verlassen
  • Ich habe bei den Lauflängen-Vergleichen die Werte eines 168gr Geschosses, das einen guten Ruf im Longrange-Bereich hat, auf mein bevorzugtes 168gr Jagdgeschoss übertragen.
  • Die Lauflängenmessung selbst benutzt nur einen Lauf und nur 5 Schuss pro Schritt.

Was bedeutet das? Murphy schießt immer mit. Das wird so nicht passen, unser Lauf wird langsamer sein, Lauf-Kammer-Übergang kosten bei uns noch ein paar FPS mehr, die Mündung ist nicht perfekt abgedreht, die Mindestexpansion hat der Hersteller grandios überschätzt, der unterschiedliche BC der Geschosse macht viel mehr aus als angenommen und so weiter.

Trotzdem: 14″ (~35cm) sind rechnerisch okay. 16″(~40cm) sind nach meinem Gefühl völlig ausreichend, da sind wir beim Ruger Ranch Rifle oder der Remington SPS TAC. 18″ (45cm) sind das kürzeste, was die üblichen Verdächtigen (Sako, Tikka, CZ, Steel Action und die Seniorenkaffeefahrtler aus Suhl) anbieten. Mehr braucht kein Mensch.