Goodbye, Cheekweld!

Ich bin dabei, mit alten Angewohnheiten aufzuräumen. Ich habe weniger Trainingszeit, ergo habe ich weniger Zeit für unnötiges Zeug. Mit Tom Given’s Worten „What are you wasting? Time!“. Und mittlerweile halte ich den Cheekweld für unnötig.

Mein erstes strukturiertes Schießtraining habe ich bei Akademie 0-500 von Henning Hoffmann erhalten. Schießen konnte ich schon, dafür werde ich ewig KL, dem mehrfachen IPSC-Senioren-Meister, danken. Aber KL war immer mehr „mach einfach mal“ und weniger „das gehört so“, was bekanntermaßen eine Stärke von Henning ist. Und gerade, wenn man es selbst nicht so genau weiß, sind feste Regeln sehr nett.

Von Henning habe ich damals die fünf Indexpunkte des Gewehrschießens mitgenommen:

  1. Hand am Vorderschaft
  2. Magazin am Unterarm
  3. Hand am Pistolengriffschaft
  4. Schulterstütze in der „Tasche“ vor der Schulter
  5. Wange auf der Schulterstütze, beim AR-15 mit Nase am Ladehebel, besser bekannt als NTCH (nose to charging handle)

Dann habe ich selbst dazu gelernt. Als erstes gefallen ist bei mir das Magazin am Unterarm als Indexpunkt. Das funktioniert beim extremen Chickenwing, den die Schweizer schießen, und den Henning vermutlich von dort übernommen hat. Eine klassische Pose, die den Schützen irgendwo auf 45° zum Ziel orientiert. Kennt man auch von anderen Militärs dieser Welt aus der Zeit vor der Körperpanzerung. Mit einer solchen dreht man natürlich die Achselregion zum Gegner, was nicht ideal ist. Ob das jetzt Kriegsentscheidend ist oder nicht, ist egal und hängt sowohl von Ausbildungsziel, Ausstattung der Anwender, Umgebung und Zielentfernung ab. Für mich ist es unwichtig, wichtiger war mir die Beobachtung, dass es mein Schießen nicht stabiler macht.

Tja, und jetzt ist für mich der Cheekweld, also die Wange auf der Schulterstütze, auch gefallen. Warum?

Ich sehe zum einen nicht viel Mehrwert.

  • Rückstoß mit dem Gesicht zu unterdrücken erscheint mir ähnlich klever, wie Boxtreffer mit dem Kopf zu fangen, weil man irgendeinen Sport betreibt, wo nur Körpertreffer zählen. Der Rückstoß von einer .223 Rem ist zu vernachlässigen und der von einer 12g Schrotflinte ist definitiv nicht gut für die Zähne. Die wirklich wichtigen Tricks zur Rückstoßkontrolle sind eine formschlüssige Verbidnung zur Schulter und, wie bei der Pistole, ein kräftiger Griff.
  • Als Indexpunkt für die Standard-Visierung ist es wertvoll, allerdings zählt dort allem Aberglauben zum Trotz nur die Ausrichtung in Linie der Visierung, nicht die Entfernung zur Visierung. Nose-to-charging-handle ist also auf jeden Fall unwichtig. Und meiner Meinung nach ist die Standard-Visierung mittlerweile obsolet als Haupt-Visierung. Ehrlich. Da gibt’s was günstiges von Holosun, falls man keinen Aimpoint kaufen will.
  • Aber Achtung, als Indexpunkt für eine vergrößernde Optik zählen sowohl Ausrichtung in Linie als auch der Abstand! Selten passt da NTCH (das ACOG ist gerüchteweise genau dafür optimiert), aber man braucht schon einen festen Indexpunkt irgendwo am Schaft, um schnell sein Ziel durch das ZF erfassen zu können. Die Größe der Eyebox (also der Spielraum, wo man einen ausreichend guten Einblick in die Optik bekommt) zählt natürlich, aber da ist keine der modernen LPVO (1x-8x-Optiken) wirklich gut1.

Auf der anderen Seite sehe ich immer mehr Nachteile:

  • Schalldämpferbenutzung. Es gibt nicht umsonst einen großen Markt für „Gas buster“ Ladehebel und andere Mittel, um möglichst wenig Gas (und Öl) in die Fresse zu bekommen. Die beste Lösung ist aber, einfach das Gesicht nicht voll reinzuhalten.
  • Nachtsicht. Wer das NSG am Helm trägt, stellt fest, dass jede Art von Cheekweld, bei dem auch der Schaft in der Schulter ist, den Kopf schräg nach vorne zwingt. Und damit guckt das NSG nach schräg unten. Da bringt es wenig. Wenn man das zusammen bringen will, nimmt man die Waffe aus der Schulter und sieht aus wie ein DevGru-Taliban-Jäger im CQB-Einsatz, der die Waffe fast auf der Schulter aufsitzen hat. Cool, aber nicht optimal. Dieser Artikel, den SS aufgetan hat, illustriert das ganz nett.
  • Es ist nicht universell. Die wenigsten Kalaschnikows erlauben überhaupt einen Cheekweld und Freunde von der Bundeswehr aus den Anfangstagen des G36 können auch gut klagen über den EOTech auf dem Tragebügel mit 12-15cm height-over-bore. Wir haben es nicht umsonst oft in „chinweld“ umgetauft, weil das das einzige ist, was funktioniert.

Ich bin nicht der einzige, der erkannt hat, das das Beharren auf Cheekweld Nachteile mit sich bringt. Deswegen findet man mittlerweile mehr Montagen für das AR-15, die die (Rotpunkt-)Visierung ganz weit nach oben bringen, wie der Wilcox 5/8″ Riser oder der Unity Tactical FAST. Letzteres hat für mich den zusätzlichen Bonus, dass dort die Backup-Visierung einfach weiter unten liegt und nicht erst hochgeklappt werden muss oder das man mit dem FAST FTC (flip to center) den Magnifier einfach unter der normalen Sichtlinie liegen haben kann. Geil, das.

Für mich eine gute Gelegenheit, eine aufwändige alte Angewohnheit endlich über den Haufen zu werfen, konsistenter auf allen meinen Waffensystemen zu werden und eine Sache weniger beobachten zu müssen. Faustformel: Weniger verteilte Aufmerksamkeit durch viele Indexpunkte und im Ausgleich mehr Kraft im Griff hilft mehr.