Das ist meine große Entschuldigung gegenüber IPSC. Ich hab lange IPSC betrieben, aber nie richtig.
Was heißt richtig? IPSC besteht aus drei Komponenten: Der Ausrüstung, den Schießfähigkeiten und der Taktik. Alle drei sind wichtig.
Wer die Nase rümpft bei „Ausrüstung“, der hat noch nie versucht, in der Open-Class ernsthaft mit zu schießen. Oder von mir sehr vermissten, leider eingestellten Modified-Class. Natürlich kann man immer witzeln, dass die Open-Class von demjenigen gewonnen wird, dessen Waffe nicht stört, aber das ist ja nicht ganz richtig: Gewonnen wird nämlich nicht mit der Glock1, sondern normalerweise mit einem getunen 2011er-Monster.
Auch „Schießfähigkeiten“ werden komisch angeguckt. Gerne als Ausrede: IPSC-Schützen können ganz viel, von präzisem Schießen auf große Entfernungen („unrealistisch, drei Schuss, drei Meter, drei Sekunden“) über das schnelle Laufen („unrealistisch, zu laut, total un-taktisch“) bis hin zum schnellen Schießen auf kurze Distanzen („unrealistisch, Geiselrettungsschuss!“). Und natürlich schnell Magazine wechseln („unrealistisch, so ohne Deckung!“) und Störungen bekämpfen („selber schuld, mit so einer Plastik-2011!“).
Aber „Taktik“ ist der größte Kritik-Punkt. Denn IPSC-Taktik ist das stage reading: Man weiß ganz klar vorher, wie die jeweilige Stage aussieht. Nach Reglement muss das sogar vor der Veranstaltung bekannt sein. Und dann plant man seinen Ablauf da durch: Wo laufe ich lang? Wo wechsle ich Magazine? Wo muss ich eine stabilere Position einnehmen und kann ich das so einrichten, dass ich mich nur am Ende hinlegen muss und daher durch Aufstehen keine Zeit verliere? Da schreit natürlich jeder laut „Uuuuuunrealistisch!“.
Tatsächlich haben bei den realistisch angehauchteren Szenarios und besonders bei der IDPA (was praktisch auch IPSC ist, nur mit etwas anderen Regeln, aber ursprünglich auch die gleiche Idee von Cooper) schon große Ikonen (und auch „Ikonen“) Witze darüber gemacht, wie es aussehen würde, wenn sie „realistisch“ so eine Stage ablaufen würden. Zum Beispiel Larry Vickers hier. Der ziemlich belesen ist, so dass er das vermutlich von Jim Cirillo hat. Aber so vergesslich, dass er das nicht erwähnt.
Tja, da habe ich früher auch groß in’s Horn gestoßen: Stage reading wollte ich nicht. Ich hab die Durchgänge immer vermieden und mich überraschen lassen. Für’s Mittelfeld hat es gereicht. Bis mich dann Michael Bane in seiner Erzählung „my father’s gun“ überzeugt hat: Da erzählt er, wie er mit riesigen Kopfschmerzen in irgendein Ghetto stolpert auf der Suche nach einer Apotheke und dann von vier Jungs in ihrem Auto angesprochen wird, die ihn höchstwahrscheinlich ausrauben wollen. Und dann macht er stage reading: Wen beschieße ich als erstes, wessen Hände kann ich nicht sehen? In welche Richtung gehe ich, wo finde ich die beste Deckung?
Nicht immer überrascht einen die Realität. Tatsächlich witzelt Tom Givens ja schon seit Ewigkeiten darüber, wie „er kam aus dem Nichts!“ nur etwas darüber aussagt, wie unaufmerksam Menschen gemeinhin sind.
Und die Übertragung auf uns: Wer in Zeiten von riesigen Wildschweinrotten als Jäger jetzt immer noch nur einen Schuss tut, den interessiert das alles nicht. Aber wer mal zwei, drei Stück entnehmen muss, der braucht definitiv einen Plan.
Tja, auch schnell planen zu können ist manchmal wichtig. Sorry, IPSC, ich übe das jetzt wieder, okay?