Handlungskompetenz

Mal wieder motiviert Greg Ellifritz Newsletter einen Artikel: Diesmal über einen Link auf diese tolle Aufarbeitung des Parkland School Shootings vom Februar 2018.

Ellifritz findet Gelegenheit, seine mittlerweile üblichen Anmerkungen zu machen: Vertraut der Schulleitung nicht, irgendwas richtig vorzubereiten oder richtig zu reagieren. Bringt Euren Kindern bei, selbst zu entscheiden und zu agieren. Das ist wahnsinnig wichtig und in Zeiten, wo in erster Linie Konformität in der Schule gefordert wird, eine riesige Herausforderung an Eltern. Das soll daher in diese Richtung auch reichen.

Seine anderen Ausführungen betreffen dann Techniken, Vorgehensweisen und Taktiken – das soll uns nicht interessieren, hier in Deutschland haben wir meines Wissens nicht mal schlechte Pläne im Fall eines School Shootings, sondern einfach überhaupt keine.

Interessanter ist meiner Meinung nach ein Blick auf die individuelle Ebene. Es gibt viel Kritik ob der Feigheit von Deputy Peterson, der lange Zeit der einzige Bewaffnete auf dem Campus war. Feigheit ist eine Sache und kostet eine Einsatzkraft, aber zum Verbergen dieser Feigheit Fehlinformationen zu liefern, das sabotiert noch viel mehr.

Das können wir als gegeben nehmen, aber was ist die Ursache dieser Feigheit und was sind alle ihre Konsequenzen?

Ursachen für Feigheit

Feigheit ist sicherlich eine intrinsische Charakterschwäche, aber externe Faktoren können sie verstärken. Ich habe in einer überraschend guten IHK-Sachkundeschulung für Sicherheitskräfte mal gelernt „Rechtssicherheit gibt Handlungssicherheit gibt Handlungskompetenz„.

Rechtssicherheit ist in so einem Fall vielfältig: Von offensichtlichen Fragen wie „steht mein Police Department hinter mir, wenn ich den Täter erschieße?“ über das ungeliebtere „steht mein PD auch hinter mir, wenn ich einen Fehler mache?“ bis zu Dingen, über die man eigentlich nicht nachdenkt, bis es auf einmal ernst wird wie „wie bin ich eigentlich versichert und wie ist meine Familie abgesichert?“ – Gedanken, mit denen man dann spontan sehr viel Zeit verbringen kann.

Erst wenn man dort sicher ist, kann man auch Handlungssicherheit gewinnen: „Soll ich den Täter direkt konfrontieren oder auf Verstärkung warten – was erwartet mein Department von mir?“ war ein wichtiger Punkt, bei dem sich in diesem konkreten Fall fast alle Einsatzkräfte anders entschieden haben als es die seit Columbine 1999 etablierte Standardvorgehensweise ist.

Und erst, wenn man sicher ist, wie zu handeln ist, dann kann man sich die ganzen Alternativen abschminken und sich auf eine Handlungsweise festlegen, erst dann kann man auch Handlungskompetenz zeigen. Im Idealfall erarbeitet man sich die bei vorherigen Übungen, aber auch im schlechteren Fall des Lernens im Einsatz gewinnt man Kompetenz dadurch, dass man nicht mehr zweifelt, was jetzt eigentlich die richtige Aktion ist.

Beispiele für Faktoren, die Feigheit begünstigt haben, finden sich viele: Beginnend mit der Tatsache, dass die Vorgehensweise in diesem Fall formuliert war als „Einsatzkräfte mögen den Täter sofort angreifen“ statt „müssen„, was eine Rechtsunsicherheit schafft, die jeder Feigling ausnutzen kann. Weiter mit der schlechten Führung vor Ort, die jederzeit als Ausrede gelten konnte und natürlich das Abgeben von Verantwortung erleichterte, so dass Handlungsunsicherheit herrschte. Und das alles endete mit der Tatsache, dass die Ausbildung der Deputies so schlecht war, dass keiner im Nachgang sich an die gelernte korrekte Vorgehensweise erinnern konnte, was die Handlungsinkompetenz unterstreicht.

Lektion: Nur wenn alle drei Faktoren stimmen, kann man davon ausgehen, dass normale Einsatzkräfte ihre Aufgaben auch erfüllen. Sie dazu in die Lage zu versetzen, das ist die Aufgabe von guten Teamführern.

Konsequenzen individueller Feigheit

Auch wenn mir Teamführung gerade am Herzen liegt, schauen wir noch mal auf die Konsequenzen individueller Feigheit. Besonders von Deputy Peterson ist die mittlerweile sattsam dokumentiert. Die Ursachen natürlich nicht, da muss ich raten und mich beziehen auf eigene Erfahrung sowohl in der Teamführung als auch auf eigene Niederlagen.

Feigheit an sich kostet nur einen Mann. Aber wenn man Feigheit versucht zu verbergen, dann kostet es mehr.

Die feinste Methode war Petersons eröffnender Zug, die Schüsse zu melden als „Schüsse oder Feuerwerk“, was ihm natürlich die Ausrede erlaubte, das alles etwas langsamer anzugehen. Natürlich dürfte das die nachfolgende Reaktion aller Kräfte ordentlich verzögert haben.

Wenn ich mich selbst nicht der Gefahr stellen will, dann kann ich das allerdings auch elegante verbergen hinter Sorge um andere. Da finden wir viele Beispiele, wie das von Peterson, der allen Kollegen riet, mindestens 500 Fuß (also ~150m) Sicherheitsabstand zu halten.

Eine andere Variante ist es, seine Aufgaben zu erfüllen, aber eben langsam – Sgt. Miller brauchte insgesamt 10 Minuten um eine Schutzweste anzulegen und sich per Funk bereit zu melden. An sich nur individuelle Feigheit, aber wenn man der Ranghöchste ist, blockiert man damit auch die Untergebenen.

Eine dritte ist es, Aktionismus zu betreiben: vom Verkehrsregeln („irgendwie muss Verstärkung ja ankommen“ auch wenn die vorhandenen Kräfte noch nicht mal im Einsatz sind) durch Sgt. Miller bis hin zum Abarbeiten obsoleter Aufgaben („wer etablieren erst mal ein Sicherheitsperimeter“ auch wenn das seit Columbine vor 20 Jahren nicht mehr Standardvorgehensweise ist) durch Cpt. Jordan. Alles an sich sinnvoll, band aber Ressourcen, die anderswo – im Einsatz gegen den Täter – gebraucht worden wären.

Deputy Stambaugh kombinierte übrigens beide Lösungen, indem er erst seine Weste langsam anlegte, dann 5 Minuten in Deckung blieb, um sich später dann „Übersicht zu verschaffen“, indem er zum Sawgrass Expressway fuhr. Immerhin sabotierte er so nicht den weiteren Einsatz.

Die schlimmste Variante von Aktionismus ist meiner Meinung nach aber das Wiederholen oder Bestätigen von anderen Informationen – das berühmte „es wurde alles schon gesagt, aber noch nicht von allen“, was dann dramatisch wird, wenn man veraltete Informationen verteilt: Petersons Wiederholung der Information, dass der Täter im dritten Stock sei – nachdem der Täter schon längst vom Gelände verschwunden war – und Kratz Behauptung, der Täter sei auf dem Football-Feld (von dessen Rand sich Kratz während der ganzen Aktion nicht entfernt hatte). Beides Informationen, die den Fokus der Gegenwehr fehlgeleitet und nachgelagerte Rettungsaktionen verzögert haben.

Die Lektion hier: Wer ein Feigling ist, möge sich verkriechen, aber nicht Teilnahme vortäuschen und damit den Einsatz noch mehr behindern.

Fazit

Insgesamt ist das Versagen der Einsatzkräfte beim Parkland School Shooting katastrophal, und angesichts der traurigen Resultate ist es schwer, zynisch zu sagen „naja, immerhin kann es ja als schlechtes Beispiel dienen“. Positiv gesprochen hätte eine Person, die Verantwortung übernommen hätte, vermutlich viel erreichen können. Ich halte Extreme Ownership für ziemlich viel Ra-ra und Special-Forces-Getröte, aber die Grundidee „erstmal bin ich verantwortlich“ ist eine bessere Basis als das in fast allen Organisationen übliche Abschieben von Verantwortung auf Vorgesetzte, erfahrenere Kollegen oder auch nur solche, die eventuell ein paar Minuten länger am Thema dran sind.