Sicherheitsregel #2 and #3

Wo ich letztens schon Sicherheitsregel #1 diskutierte, bietet es sich an, auch mal auf #2 und #3 zu gucken. Zur Erinnerung:

Regel #2 in der Version von Gunter Hick von OPS Training: Richte die Mündung nur auf Ziele, die Du bereit bist zu töten, zu zerstören oder zu kaufen. Von Oliver Falk von HunTac habe ich zur Verdeutlichung noch gelernt: „Stell Dir vor, an der Mündung wäre ein starker Laser befestigt, der alles abschneidet, was Du überstreichst.“

Regel #3: Der Finger berührt erst den Abzug, wenn die Entscheidung zum Schießen gefallen ist.

Zwei wirklich wichtige Regeln, die man einhalten will. Aber immer gleich beide? Ich hatte da immer schon eine etwas spezielle Meinung, und glücklicherweise hat mir der hoch geschätzte P.S. jüngst erzählt, dass ich damit nicht völlig allein stehe. Das folgende Bild ist daher inspiriert von einem Kurs von Andy Stanford:

Still safe

Himmel, da bricht ja jemand in einem schicken Vertx Polo Regel #2! Und trotzdem sagt Andy Stanford „This is still safe!“. Und Recht hat er. Denn so lange eine Waffe nicht defekt ist, geht die auch erst los, wenn man den Abzug drückt. Friedfertig formuliert heißt das, dass Regel #2 und #3 sich gegenseitig verstärken. Aber das ist das Internet, also bevorzuge ich die provokante Formulierung: Eine von beiden reicht!

Es ist zwar peinlich, aber ungefährlich, wenn man abdrückt (gegen #3 verstößt), so lange die Waffe in eine sichere Richtung zeigt (#2 befolgt). Es sieht zwar wahnsinnig aus, wenn man eine Waffe auf etwas wertvolles richtet (gegen #2 verstößt), aber den Finger vom Abzug lässt (#3 befolgt).

Mit gesundem Menschenverstand sieht man das schnell ein. Man befolgt trotzdem #2 und #3, weil eins ohne das andere zwar funktioniert, man aber weder wahnsinnig wirken noch sich peinlich benehmen will. In nicht-Standard-Situationen (es juckt mich in den Fingern, „Extremsituationen“ zu schreiben) zeigt sich aber die Notwendigkeit (1) beziehungsweise der Vorteil (2):

  1. Wer den Tanz der Schande tanzt, weil er schon wieder eine heiße Hülse in den Hemdausschnitt seines mächtigen Vertx-Operator-Polos bekommen hat, der kümmert sich erst mal um Regel #3 und streckt den Finger vom Abzug. Und zwar „Viagra-gerade“, wie oben genannter Olli gerne sagt. Heiße Hülsen auf der Haut sorgen eben ganz ungewollt für perfekte Ganzkörperspannung. Die Mündung überstreicht dabei sicherlich hin und wieder den Boden, den man eigentlich nicht beschießen will. Aber sicher genug ist das noch.
  2. Wer im Zugvorgang den Finger erst auf den Abzug legt, sobald die Waffe in Endposition fest auf dem Ziel ist, wird bei Kursen sicherlich als exemplarisch gelobt. Allerdings wird es mit vernünftigen Schießzeiten auch nichts. Ich weiß das. Hat mich Jahre gekostet, das einzusehen. Mittlerweile mache ich es besser: Bei einer Glock nimmt man bei der Press-out-Technik den Vorzug am besten auf dem Weg von Position 3 (compressed ready) zu 4 (Endposition) komplett raus. „Prepping the trigger“ oder auch „taking out the slack“ genannt. Das bringt weniger Bewegung in die Waffe beim Abdrücken, reduziert die Schusszeit und die Streuung. Hat man dabei den Finger auf dem Abzug, obwohl die Entscheidung zum Schuss nicht bewußt getroffen ist? Klar. Aber die Waffe ist schon auf dem Ziel, ich nenne das die Inkaufnahme eines suboptimalen Treffers. Das funktioniert natürlich wirklich gut nur beim „Press out“, in Deutschland auch einfach „Vier-Positionen-Ziehvorgang“, weil die Waffe ab 3 schon auf das Ziel ausgerichtet ist. Wer aus dem Holster auf gerader Linie zur Endposition geht, riskiert mehr.

Und da sieht man wieder, dass es nicht nur Philosophiererei ist, etwas über Sicherheitsregeln nachzudenken, sondern auch praktischen Nutzen hat: Mein normaler Ziehvorgang bis zum ersten Schuss lag früher bei zuverlässigen 1.5s aus dem offenen Holster mit Daumensicherung und bei 1.8s aus dem verdeckten AIWB. Mittlerweile ist selbst der verdeckte Ziehvorgang im Schnitt bei 1.35s. Danke an Tom Givens dafür.